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Wenn auch viele die
Aktualität der Kulturwissenschaft vor allem an den Hochschulen für eine
Modeerscheinung halten, ist die kulturwissenschaftliche Debatte für die
Kunstdidaktik und für den Kunstunterricht sehr aufschlussreich. Diese
Debatte trat etwa gleichzeitig zu gravierenden Veränderungen in der Kunst
und Alltagskultur auf. Man kann sie sogar als eine Reaktion auf die ausgeweiteten
Kunstbegriffe, auf die Herrschaft des Bildes in der Pop-Kultur und auf
die Akzeptanz alltagskultureller Handlungen sehen. Während sich auf der
einen Seite die Künste transdisziplinär wie transmedial begriffen und
sich künstlerische Äußerungen und populärkulturelle Prozesse durchdrangen,
wurden kulturelle Handlungen außerhalb der Kunst von Forschern als bedeutungsvolle
kulturelle Praxis ernstgenommen und untersucht. Das Interesse einer die
Fachdisziplinen übergreifenden Betrachtung von Kultur begründet sich durch
die Interdisziplinarität der Künste selbst und aus einem Verständnis von
kultureller Praxis, die auch im Alltag stattfindet und wiederum selbst
"multimedial" ist. Sinnproduktionen in einer Kultur äußern sich in Praktiken
der Musik, des Tanzes, des Körpers, der Inanspruchnahme von Räumen und
Textilien. Die Forschungen der britischen "cultural studies" im Umkreis
um Stuart Hall und John Fiske oder die kultursoziologischen Untersuchungen
der alltagsästhetischen Schemata erkennen in der Alltagskultur eine besondere
Form der Mitteilung jenseits der Kunst. Dass die Kultur in ihrer medialen
Präsenz stark von der Macht technischer Apparate und der Diskursnetzwerke
neuer Informationstechnologien geprägt ist, erweitert die Kulturwissenschaft
zu einer Medientheorie. Kulturwissenschaftliche Fragen medientheoretischer
Art beziehen sich beispielsweise darauf, welche Einflüsse "Maschinen"
auf die Herstellung und Rezeption von Bildern haben und wie sich die Kultur
aufgrund der Digitalisierung verändert hat. Die Aufmerksamkeit alltagskultureller
Untersuchungen richtet sich auf Geschmacksgemeinschaften, kulturelle Identitäten,
Arsenale von kulturellen Zeichenvorräten und auf den Gebrauch von Diskursen
in kulturellen Handlungen.
Während Scherpe und
Böhme den kulturwissenschaftlichen Forschungsansatz als eine realistische
Methodologie der Vernetzung der betroffenen Fachdisziplinen betrachten,
unternimmt Doris Bachmann-Medeik einen inhaltlich präziseren Vorstoß,
indem sie Kultur nicht nur als Text begreift, sondern eine Forschungsprogramm
entwirft, mit dem performative, also tatsächlich stattfindende Äußerungen
als kulturelle Handlungen untersucht werden. Ausgehend von einem sehr
weiten Textbegriff definiert sie alle medialen Träger solcher Diskurse
als Übermittlungsfunktionen von "Traditionen und Überzeugungssystemen,
Schlüsselsymbolen und -praktiken". Kultur erscheint als "eine Konstellation
von Texten, die - über das geschriebene Wort hinaus - auch in Ritualen,
Theater, Gebärden, Festen usw. verkörpert sind". Tatsächlich beinhaltet
ihr Untersuchungsansatz nicht nur die Rekonstruktion von tieferliegenden
Bedeutungsschichten oder Kodierungsformen kultureller Äußerungen, sondern
auch die Untersuchung der Äußerung als "performative act". Doris Bachmann-Medeik
bezieht sich auf Victor Turner, wenn sie eine Dynamisierung der Symbolanalyse
erkennt, indem "Symbole nicht als Funktionsgrößen für ein gesellschaftlich-soziales
System betrachtet, sondern sie eingebunden werden in prozessuale Formen
wie soziales Drama und Ritual". In einer so verstandenen Kulturwissenschaft
wird das ästhetische Verhalten von Kindern und Jugendlichen in besonderer
Weise als eine Voraussetzung für die Planung und Durchführung von Kunstunterricht
beleuchtet. Es erscheint hier nicht mehr als eine ausschließlich bildnerische
Praxis (etwa in der Kinderzeichnung), sondern als ein Verhalten, das sich
in allen Medien ausdrückt. Vor allem die kulturwissenschaftlichen Untersuchungen
der Jugendkultur und Jugendästhetik stellen ein Unterrichtsskript "Lernvoraussetzung"
auf ein breiteres Fundament. Dieses Fundament erkennt im ästhetischen
Handeln Kinder und Jugendliche nicht als Opfer einer medialen Massenindustrie,
sondern als aktive Mitgestalter ihrer kulturellen Umgebung. Was unterscheidet
vernetzten, interdisziplinären Kunstunterricht von seiner Position als
Unterrichtsfach? Er verwirklicht ästhetisch-künstlerische Handlungsformen
in direktem Lernkontext zu wissenschaftlichen Methoden, schärft den Blick
für die künstlerischen Inhalte des Fachunterrichts, motiviert und bildet
sein künstlerisches Profil. Der vernetzte Kunstunterricht ist der Rahmen
für die Untersuchung alltagsästhetischen Verhaltens, die nur kulturwissenschaftlich
durchzuführen ist, und entlastet damit die Ansprüche an den Fachunterricht.
Er kann künstlerische Methoden in der Sinnkonstitution akzentuieren oder
bildwissenschaftliche und medientheoretische Methoden in den Arbeitsbereich
anderer Fächer bereit stellen. Kunstunterricht als Fachunterricht wird
nach allen curricularen Unsicherheiten wieder Raum für künstlerische Erfahrungen.
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Eine Fachwissenschaft
stellt sich vor - im Wesentlichen unter einem ganz bestimmten Aspekt.
Die Methoden im Rahmen der Kunstwissenschaft sind mannigfaltig. Geläufige
Namen unter anderen Heinrich Wölffin, Erwin Panofsky als Klassiker und
Beat Wyss oder Griselda Pollock als neuere Vertreter mit entsprechend
aktualisierten Ansätzen. Die Entscheidung, Aby Warburg auszuwählen, verbindet
sich mit der Idee, unter Umständen fächerübergreifend realisierbare Möglichkeiten
anzudenken. Vor diesem Hintergrund wird in einem zweiten Teil ein angedachtes
Projekt vorgestellt, das eine Gemeinschaftsarbeit der in diesem Fachbereich
versammelten Fächer möglich werden ließe.
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