Universität Dortmund
Universität Dortmund
 

FACHBEREICH 16

  Geographie - Kunst - Musik - Sport - Textilgestaltung
   
   
   
  Interdisziplinäres kulturwissenschaftliches Kolloquium des FB 16
  Beiträge des Instituts für Geographie und ihre Didaktik
Parlez-vous Français ?
Do you speak English?
     

Summary des Referates von Einhard Schmidt-Kallert und Birgit S. Neuer:

Kulturwissenschaftliche Ansätze und Geographie

 

Ziel dieser Kolloquiumssitzung war es erstens den Kulturbegriff — oder besser die Kulturbegriffe — des Faches vorzustellen, und nach einem Rückblick in die Disziplingeschichte vor allem die neueren Ansätze und Forschungsrichtungen, die im Zusammenhang mit dem "cultural turn"(1) in der Geographie aufkamen, zu benennen sowie näher zu erläutern. Daher wurden zweitens einige Aspekte des (geographischen) Umgangs mit ‘kulturellen’ Themenbereichen durch Erzählungen über und Berichte von erlebten Erfahrungen aus der Entwicklungszusammenarbeit vertieft, um damit die Verbindungen von Geographie und Kultur/kulturellen Themen für die Nachbardisziplinen im Fachbereich konkreter und greifbarer zu machen.

Zunächst geliebte, dann heiß umkämpfte, vehement abgelehnte und später wiederentdeckte Begriffe wie ‘Kulturlandschaft’ sind nicht nur zentral bedeutsam für die traditionelle Geographie, sie verweisen auch auf die lange Tradition, welche die Beschäftigung mit Kultur in dieser Disziplin genießt. Kulturlandschaft zu verstehen als Spiegel der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner physischen Umwelt, Landschaft zu betrachten als sinnlich wahrnehmbares Produkt menschlicher Tätigkeit und als wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand gleichermaßen führt zurück in den Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals galt diese Auffassung von Kultur und Landschaft sehr wohl als modern und entsprach dem durchaus damaligen Geist der Zeit. Diese traditionelle Kulturgeographie, die sich jahrzehntelang stark an diesem Konzept der Kulturlandschaft orientierte, ist nicht zu unrecht scharfer Kritik unterzogen worden: Theorielos sei dieser Ansatz, gegenstandsverliebt und unsensibel für soziale Prozesse. Insbesondere jedoch hat diese Forschungsrichtung das Thema ‘Kultur’ nicht wirklich präzise konzeptionalisiert, sondern Kultur als alles bestimmende vage Kraft angesehen.(2)

Trotz zahlreicher der Kritik unterzogenen Punkte hat die traditionelle Kulturlandschaftsforschung (oft nicht explizit ausgesprochene) Wissensbestände, Erfahrungen und auch Qualifikationen in das Fach eingebracht. Kultur war und ist umfassend zu verstehen. Erfahrungen im Umgang mit fremden Kulturen wurden gesammelt. Interdisziplinarität praktiziert, eingeübt und sozusagen innerdisziplinär fester verankert. Und schließlich, bei allen Schwierigkeiten, welche die Geographie mit Themen wie Sinnlichkeit und ästhetischer Erfahrung hatte, irgendwie war doch durchweg eindeutig, dass Landschaften ein "Kunstwerk in statu nascendi" sind, wie Simmel es zu Beginn des 20. Jahrhunderts formulierte.(3)

Im Hinblick auf kulturelle Themen fand in der Geographie seit der Auseinandersetzung mit der traditionellen Kulturlandschaftsforschung ein mehrfaches Umdenken statt. Als Ergebnis dieser Umdenkprozesse lässt sich für die neunziger Jahre eine Entwicklung konstatieren, die gerne mit den Worten "cultural turn" umschrieben wird. Durch die Neu- (oder Wieder-)Besinnung auf kulturelle Fragestellungen sind zwar auch neue Forschungsfelder in die Geographie eingebracht worden. Wirklich neu sind jedoch nicht unbedingt in jedem Fall die Themen an sich, sondern die Art und Weise, wie mit selbigen umgegangen wird.

Die Rolle von Sprache findet eine stärkere Berücksichtigung, indem auch die Frage nach Bedeutungen und Bedeutungszuweisungen gestellt wird. Die Sensibilität für die Konstitution von Realität über Repräsentationen der Realität ist gewachsen. Das Bewusstsein für die verschiedenen Formen des Wissens und der Wissensproduktion ist gestiegen. Subjektivität und subjektive Erfahrungen sind als Forschungsaspekte zulässig geworden, der Alltag, das Alltagsleben wird thematisiert. Zu erwähnen ist darüber hinaus, dass der Methodenkanon des Faches um qualitative Herangehensweisen erweitert wurde.

Es wäre allerdings ein großer Fehler die dem "cultural turn" sich verpflichtet fühlende Forschung zu einer neuen Schule, einem festen Block zusammenschweißen zu wollen. Vielmehr — dies noch einmal zur Wiederholung — entstand in Anlehnung an Disziplinen wie der Anthropologie, der Kultursoziologie oder den cultural studies insgesamt eine neue Sensibilität auch und gerade hinsichtlich verschiedenster kultureller Themen und Prozesse sowie hinsichtlich der Forschungsmethodik.

Ihre Manifestation finden diese Veränderungen einerseits im Wiedererstarken traditioneller Felder der Kulturgeographie, nun allerdings unter dem Einfluss neuer theoretischer Ansätze. Die neue Landschaftsschule insbesondere der englischsprachigen Geographie betrachtet Kulturlandschaften nicht mehr als Gebilde, die zu typisieren und auf Kulturerdteile zu verteilen sind, sondern wandte sich der theoretischen Aufarbeitung des Landschaftsbegriffes zu. Sie reflektiert die Erkenntnis, dass Landschaften auch durch Machtkonstellationen gekennzeichnet sind und durch kontextgebundene Formen des Sehens ‚gemacht werden‘. Wiederaufgeflammt ist unter dem Einfluss der Postkolonialismusdebatte auch das Interesse an Wissenschaftsgeschichte; entstand die (moderne) Geographie doch nicht zuletzt durch die in fremde und ferne Länder führenden Forschungsreisen eines Alexander von Humboldt.

Andererseits hat der "cultural turn" in der Geographie jedoch auch Türen zu neuen Themenbereichen geöffnet. Unter dem Einfluss konstruktivistischer Strömungen wird die kulturelle Konstruktion von Umwelt und Natur unter die Lupe genommen, Naturdiskurse werden analysiert. Die Wirtschaftsgeographie schenkt der Diskussion um die kulturellen Eingebundenheit von ökonomischen Prozessen ihre Aufmerksamkeit, und schließlich haben Postmoderne und Globalisierung mit all ihren (sozialkulturellen) Implikationen eine Reihe von Forschungsfragen evoziert, die eng verbunden sind mit Themen der Kultur- und Sozialwissenschaften.

Zwei Beispiele seien hier zum Abschluss aufgeführt. Architektonische Veredelungsmaßnahmen, luxuriöse Konsumtempel, die kulturorientierte Revitalisierung und Gentrifizierung insbesondere der Innenstädte zeigen auf, dass hier zumindest für Teile der Bevölkerung neue Lebensstile umsetzbar und ästhetische Optionen städtebaulich realisierbar werden. Die Produktion von Stadt-Images zu Marketingzwecken, die allgemein wachsende Flut von Symbolen, Zeichen und medial aufbereiteter Bilder werden zum Ausdruck der in steigendem Maße kulturalisierten und virtualisierten Stadt, wodurch nicht nur die Wahrnehmungsgeographie herausfordert wird, sondern auch nach Stadttheorien verlangt wird(4), die um kulturelle Aspekte zu erweitert sind (5).

 

(1) Dazu siehe u.a.: Clive Barnett (1998): The Cultural Turn: Fashion or Progress in Human Geography? Antipode 30. pp. 379-394. Michael Flitner (1999): Im Bilderwald. Politische Ökologie und die Ordnungen des Blicks. Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 43. S. 169-183.

(2) Letzteres gilt insbesondere für die Berkeley School in der Tradition von O. Sauer.

(3) Georg Simmel (1984): Die Philosophie der Landschaft. In: ders. Das Individuum und die Freiheit. Berlin. S. 130.

(4) Siehe dazu: Jürgen Hasse (1997): Mediale Räume. Oldenburg. (Wahrnehmungsgeographische Studien zur Regionalentwicklung); Ilse Helbrecht (1998): Rezension zu Jürgen Hasse: Mediale Räume. In: Geographische Zeitschrift 86. S. 188-190.

(5) Siehe dazu u.a. Ilse Helbrecht (1997): Stadt und Lebensstil. Von der Sozialraumanalyse zur Kulturraumanalyse. In: Die Erde 84. S. 1-15.

 

 
1. Veranstaltungsankündigung
2. Geographie
  3. Kunst
  4. Musik
  5. Sport
  6. Textil
 
  Ergebnisse
   
UniDo Logo
   
 © Dekanat FB16, 22.01.2001 | Kontakt | Impressum | Webmaster |